Spätgotische Wehrkirche St. Michael

das Bild zeigt die Stadtpfarrkirche HaagTextauszug aus dem Buch „Stadt Haag“ mit freundlicher Genehmigung des Autors Johann Hintermayr


Das 15. Jahrhundert war in Haag von wirtschaftlicher Regsamkeit gekennzeichnet. Die Einrichtung des Gauhandelsverbandes (1448), der den Austausch von Produkten der Landwirtschaft und des Gewerbes begünstigte, brachte für die Bürger und Bauern bessere Zeiten. Durch das Aufblühen von Handel und Gewerbe stellte sich bei den Haager Bewohnern ein gewisser Wohlstand ein. Diese wirtschaftliche Tüchtigkeit begründete bereits 1431 den Status eines Marktes.

Im Bewusstsein der dem aufstrebenden Ort zuerkannten Stellung entstand bei den Haagern unter Pfarrer Dietrich von Kölln (1431 - 1453) das Bedürfnis, die zu klein gewordene romanische Kirche durch eine neue zu ersetzen, deren Architektur der geistigen Konzeption des späten Mittelalters entsprach. Über die Bauzeit und über das Aussehen der romanischen Kirche liegen keine Aussagen vor. Mit der Entscheidung, ein spätgotisches Gotteshaus zu bauen, ging Haag manch anderen Pfarren voraus. Pfarrer Dietrich von Kölln begann 1433/1435 den Kirchenneubau vorerst mit dem Turm und dem Chorraum (Presbyterium).

Der neue gotische Turm war ursprünglich noch nicht mit einem Wehrgeschoss ausgestattet und reichte nur geringfügig über den First des Kirchenschiffes hinaus (Kafka). Mit dem Bau dieses neuen mächtigen Gotteshauses war ein großes Finanzproblem verbunden. In Pfarrer Dietrich von Kölln schienen aber die Haager einen tüchtigen Wirtschaftsmann mit einem beträchtlichen Vermögen gehabt zu haben. Er erleichterte die Finanzierung durch große Schenkungen an die Kirche wie Weingärten in Spitz (1443) und konnte bis zu seinem Tode im Jahre 1453 noch die erste Bauetappe des Neubaues erstehen sehen. Die Realisierung des gesamten Bauvorhabens war zum Hauptteil durch den reichhaltigen Pfründenbesitz der Kirche zu Haag abgesichert.

Nach dem Ableben von Pfarrer Kölln wurde die zweite Bauetappe, gewiss auch unter beträchtlicher Mithilfe der Bevölkerung, das dreischiffige Langhaus (27,5 m lang, 18 m breit, 15,5 m hoch) und der Musikchor errichtet. Sage und Volksmeinung erzählen von diesem Kirchenbau, dass einige Steyrer am Werke mitgearbeitet hätten, dass sie im Bauernhof Werkgarn (auf dem Wege von Steyr nach Haag) ihr Arbeitszeug aufbewahrt hätten und dass sich sogar ein großer Unglücksfall beim Bau der Kirche ereignet habe. Ein Maurer sei vom Gerüst tödlich abgestürzt. Am interessantesten an diesen Erzählungen ist die Mitwirkung der Steyrer, die kein bloßes Sagenmotiv und keine Verwechslung späterer Ereignisse mit früheren - wie der tödliche Sturz, der sich tatsächlich 1812 ereignete - sein kann. Ungefähr gleichzeitig mit der Kirche in Haag wurde die Stadtpfarrkirche zu Steyr im selben gotischen Stil und mit vielen Ähnlichkeiten errichtet. Auch in Steyr trat an die Stelle der romanischen Kirche, die der Denkweise der Stadtbürger nicht mehr entsprach, ein Neubau. Begonnen wurde in Steyr der Bau im Jahre 1443 - acht Jahre später als in Haag - durch Meister Hans Puxbaum, der ab 1446 am "Steffel" in Wien baute und 1454 starb.

Die Meister Merten Kranschach und Wolfgang Tenk setzten die Arbeit fort. Die Bauhütte in Steyr war zweifellos die nächste, und so ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, dass die eben erwähnten Steyrer Baumeister und mit ihnen auch etliche Steyrer Steinmetze an der Haager Kirche gewerkt haben. Vor allem kommen Meister Puxbaum für die erste Bauperiode und Meister Kranschach für die zweite, rund dreißig Jahre später, in Frage.
Als Baumaterial für die Kirche diente der Groppenstein (Konglomerat) - das ganze Bauwerk steht selbst auch auf einem Konglomeratfelsen - und soll aus einem Steinbruch aus Haag stammen. Nach unüberprüfbaren mündlichen Überlieferungen sei der Steinbruch in späterer Zeit aufgefüllt worden. Darauf habe man mit Hilfe von Piloten das Fundament für das Erholungsheim und die Kapelle geschaffen.

Der von den Bettelorden (Minoriten, Dominikaner, später Franziskaner, Karmeliter und Augustiner-Eremiten) vertretene Baugedanke einer schlichten Architektur wurde bei vielen gotischen Kirchenbauten aufgegriffen. Diese Bauweise drückt sich auch im Äußeren der Haager Pfarrkirche sichtbar aus. Typisch dafür sind die bereits zierlosen Strebepfeiler, deren Abdeckungsgiebel früher mit einfachen Kreuzblumen bekrönt waren. Nur an der Ostseite des Chores sind zwei Strebepfeiler mit je einer Fiale versehen. Auffallend ist das äußere Strebesystem an der Südseite, das gegenüber den Pfeilern im Kircheninneren versetzt ist. Die Folge davon sind ungleiche Fensteranordnungen. Diese unsymmetrische Situierung der Strebepfeiler, die den gepflogenen Normen widerspricht - so Architekt Hermann von Riewel vor 100 Jahren -, lässt möglicherweise auf vorhergehende Fundamente der romanischen Kirche schließen. Diese Annahme und die bei den Restaurierungsarbeiten 1969 vorgefundenen Fundamente bei den nördlichen Schiffspfeilern lassen eine beachtliche Größe des vorherigen romanischen Kirchenbaues vermuten.

Vor Beendigung des zweiten großen Bauabschnittes, der vor dem Eintreffen der kriegerischen Ungarn unter König Matthias Corvinus anzusetzen ist, erfolgte die Befestigung der Kirche durch das Aufsetzen mehrerer Gusserker oberhalb der Eingänge und an anderen Stellen des Dachgebälkes. Trotz dieses neuen Befestigungswerkes, das als militärischer Stützpunkt diente, mussten die Haager am 1. Juni 1485 den Markt den ungarischen Feinden überlassen.
Das weithin ins umliegende Hügelland sichtbare mächtige Gotteshaus mit seinem steilen Satteldach erinnert - so Günter Brucher - "durchaus an die Langhausdach-Problematik des Stephansdomes". Durch das um fünf Meter höhere Mittelschiff gegenüber den beiden Seitenschiffen - daher spricht man hier von einer Staffelkirche - gewinnt man bei entsprechender Betrachtung des Kircheninneren den Eindruck eines basilikalen Raumgefühles. Der langgestreckte Chorraum ist sowohl hinsichtlich seines betont vertikalisierten Wandaufrisses als auch in Bezug auf seine Fensterdominanz durch eine Rückbesinnung auf „hochgotische Strukturelemente“ gekennzeichnet.

In allen drei Schiffen finden wir ein reiches Netzrippengewölbe, das auf achteckigen Pfeilern ruht. Besonders deutlich drückt sich die gotische Architektur auch im Chorraum durch den mächtigen Triumphbogen, das zarte Netzrippengewölbe samt den bedeutenden Maßwerkfenstern aus.