Textauszug aus dem Buch „Stadt Haag“ mit freundlicher Genehmigung des Autors Johann Hintermayr
Bildnachweis: Reproduktion einer alten Ansichtskarte,
Archiv Karl Schlögelhofer, Pfarrer
Obwohl sich Pfarrer Medard Seeland erst nach dreißigjähriger Pfarrertätigkeit in Strengberg 1876 um die Leitung der Haager Pfarre annahm, fing er gleich mit baulichen Veränderungen an. In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts setzte, ausgehend vom ehemaligen Kloster Erla, die Regotisierung der Kirchen im westlichen Niederösterreich ein. Diesem Kunstgeschmack schloss sich auch Pfarrer Seeland an. Er begann bald nach seinem Amtsantritt mit den ersten Maßnahmen für die innere Umgestaltung der Kirche. Der barocke Altar - mit der Darstellung der Kirchengründungssage - missfiel dem neuen Pfarrherrn sehr. Er ließ einen neugotischen Hochaltar anfertigen und aufstellen. Der Einspruch des Denkmalamtes zwang ihn aber zur Einstellung seiner Arbeiten. Dadurch ergab sich die groteske Situation, dass im Altarraum eine Zeitlang der alte und der neue Altar beieinander standen.
Nach Seelands vierzehnjähriger Amtszeit (†1890) folgte ihm als Pfarrer Johann Ev. Höllrigl. Er setzte die Regotisierung unserer Kirche fort und hat von den zuständigen Amtsstellen keinen Einspruch mehr erfahren.
Mit Architekt Hermann von Riewel führte Pfarrer Höllrigl die baulichen Veränderungen - einschließlich der zweiten Turmerhöhung - durch, und baute ein Oratorium über der Sakristei.
Das bedeutungsvolle Gemälde des alten Altares verschwand, das Fresko des Engelsturzes an der Decke des Priesterchores ließ er herunterschlagen. Dazu meinte er, dass es ohnedies überall Teufel genug gäbe und wir in der Kirche keine mehr brauchten. Auch die Seitenaltäre mussten nach 1890 der Neugotik Platz machen. Für den Hochaltar zahlte die Gemeinde 3000 Gulden, für den Marienaltar gab die Familie Eder 1400 Gulden, den Kreuzaltar hatte mit 1300 Gulden Michael Dierer auf sich genommen und für die Kanzel bezahlte wiederum die ganze Gemeinde 1300 Gulden.
Ob die um 1435 von Hans von Rohrbach gestifteten Glasfenster die Epoche des Barocks überlebten, ist unbekannt. Jedenfalls wurden 1890/91 alle Fenster im Kirchenraum mit neugotischer Glasmalerei versehen. Die nicht geringen Kosten wurden teilweise von privaten Spenden gedeckt, wie seinerzeit die Widmungen bekundeten. Von den heute noch im Altarraum befindlichen Glasfenstern trägt eines davon folgende Inschrift: "Gewidmet von der Pfarrgemeinde Haag 1891".
Im Jahre 1890 musste die hohe Umfriedungsmauer um die Kirche, die an vielen Stellen einzustürzen drohte, ausgebessert werden. Da die Kosten für diese Arbeit fast zu hoch lagen, plante man zunächst, die Mauer ganz abzureißen und an ihrer Stelle ein Eisengitter aufzustellen. Haags herrliches, wehrhaftes Bild wäre damit für immer zerstört gewesen. Glücklicherweise änderte Höllrigl sein Vorhaben sofort, als im März 1891 bei der Abtragung der schadhaften Umfriedungsmauer in ungefähr halber Höhe die historischen Zinnen zum Vorschein kamen; er ließ sie in ihrer ursprünglichen mittelalterlichen Weise wiederherstellen.
Haags "Hintertürl" (danach war bis 1960 die Kirchengasse benannt) an der Südseite der Umfriedungsmauer, von Höllrigl auch "Gloriettl" bezeichnet, wurde gleichfalls 1891 renoviert. Nachdem bereits am 1. Mai 1891 beim Rabengut (damals Michael Sturm) eine Lourdeskapelle durch P. Ambros Sturm eingeweiht worden war, ließ auch der Pfarrer eine Lourdeskapelle neben der Sakristei der Kirche einrichten und ebenfalls durch P. Ambros Sturm aus Seitenstetten weihen (heute Sakristei).
Die Arbeiten an und in der Kirche wurden im Jahre 1892 mit der Erhöhung des Turmdaches abgeschlossen. An Stelle des alten geschwungenen Schindeldaches wurde von Maurer- und Zimmermeister Franz Pichlwanger das hochragende, neugotische Turmgebälk gezimmert und von Spenglermeister Franz Tojner mit einem Kupferdach versehen. Der Turm erreichte damit eine Höhe von 63,5 Meter, um 14 Meter höher als vorher. Am 8. September 1892 erfolgte die Turmkreuzaufsetzung. Anstatt der barocken Kreuzwegbilder wurde ein gotischer Reliefkreuzweg angeschafft und vom Bildhauer Anton Dietl (oder Dichtl) aus Hall in Tirol verfertigt (1893). Die Kosten von 2 000 Gulden trug die Familie Eder. Kirche und Sakristei erhielten ein ornamentales Bodenpflaster.
Im Jahre 1900 wurde bei Johann Lachmayr eine neue Orgel bestellt und der Friedhof erweitert. Zwölf Apostelstatuen aus Terrakotta, in München bei Möller verfertigt, füllten seit 1907 die Wandflächen im Presbyterium.
Im folgenden Jahr wurden die Statuen Kaiser Heinrichs und seiner Gemahlin Kunigunde, beide aus Holz von Ludwig Linzinger in Linz verfertigt, links und rechts vom Hochaltar aufgestellt. Sie kosteten 550 Kronen.
Dechant Höllrigl verstand es, den Opfermut seiner Gemeinde durch rund zwei Jahrzehnte zu erhalten. Obwohl die Entfernung der barocken Einrichtung mehr dem damaligen Trend als dem Kunstempfinden entsprach, konnte Höllrigl seine mutige Tat auch finanziell durchstehen.
Die Amtszeiten der Pfarrherren Monsignore Franz Reininger (1917 bis 1939) und Monsignore Johann Pragerstorfer (1940 bis 1965) waren jeweils durch die Auswirkungen der Weltkriege schwer belastet. Viele kulturelle und wirtschaftliche Aktivitäten wurden durch die langanhaltenden Nachkriegsfolgen gehemmt. Trotzdem konnten ziemlich rasch die wesentlichen materiellen Opfer (Kirchenglocken 1947/48 und Turmbedachung 1950) ersetzt werden. Für Johann Pragerstorfer, seit 1952 Ehrenbürger der Stadtgemeinde, waren die letzten fünf Jahre seiner Amtsführung voller Aktivitäten. 1963 nahm er die Restaurierung des Pfarrsaales (Restaurator Johann Rauchegger) vor. Die letzte große Ausgabe von 425.000 Schilling entstand 1965 durch die fällige Neueindeckung des Kirchendaches mit Eternitschindeln.
Das Jahr 1965 war für Pfarrer Pragerstorfer ein zweifaches Jubeljahr: 50 Jahre Priester und 25 Jahre Pfarrer in Haag. Dieses letzte Jahr seines offiziellen Wirkens in Haag klang für diesen feinsinnigen Priester mit einer großen kirchenmusikalischen Aufführung in der Pfarrkirche aus. Haager Chöre, zusammen mit den Göttweiger Sängerknaben unter der Leitung des Domorganisten Walter Hoffmann, brachten zu Ehren des Jubilars Werke von Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven und Anton Bruckner zur Aufführung.